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An Jörg Herchets Orgelwerk wird oft sein durchsichtiges Stimmengefüge bewundert – bei gleichzeitig hoher Intensität der Form-Entfaltung. Dieser Eindruck ist ein Verdienst von Herchets polyphoner Kompositionsweise, deren Besonderheit sich detailliert nachweisen läßt. Nicht nur die beiden auf der ersten CD vorliegenden Stücke aus der komposition 1 für orgel liefern Beweise hierfür. Wie nur wenigen Herchetschen Instrumentalkompositionen sind ihren acht Stücken verbale Zeugnisse zugeordnet, nämlich die acht neutestamentarischen Seligpreisungen: Stück V preist die Barmherzigen, Stück VI die Friedfertigen.
Den Zyklus der NAMEN GOTTES, wie die komposition 3 für orgel verbal überschrieben ist, kann man als Kompendium einer sinnlichen Zeit-Erforschung lesen: Den 43 (zum Großteil bereits vorliegenden, teils noch geplanten) Kompositionen – 6 Heften zu je 7 Stücken sowie einem zentralen Heft (4.) mit nur einem besonders umfangreichen Werk – ordnet Herchet ein Spektrum möglicher Zeitformen zu. Die uns vertraute menschliche Zeit („rationale/subjektive Zeit“) mit ihrem Entwicklungsgedanken, der auf dem Konzept von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fußt, wird dabei relativiert und ergänzt durch die richtungslose „physikalische Zeit“ und die „biologische Zeit“ mit Wandlung und Wiederkehr ohne ein äußeres Ziel.
Die Auswahl und Kombination der Stücke stellt Herchet dem Interpreten frei. Lydia Weißgerber und Reimund Böhmig, beide langjährige Weggefährten Herchets, haben sich neben der Uraufführung von Stück XXIV aus dem 5. Heft für drei Stücke des 2. Heftes entschieden, das den Gedanken der Wandlung gestaltet. Mit den Welten, die zwischen der kristallinen Klarheit von Nr. VIII und der bewegten Üppigkeit von Nr. XI liegen (dem zentralen Stück des 2. Heftes), deutet sich die Spannweite der Wandlung als Zeit- und damit Anschauungsform an. Abgerundet wird die zweite CD mit einer Eigenkomposition Lydia Weißgerbers.
Die Orgel der Dresdner Kreuzkirche, in ihrer ursprünglichen Gestalt als opulentes Instrument der Orgelbewegung, hat Jörg Herchets Klangvorstellungen als Orgelkomponist stark geprägt. Seinem Klangideal kommt die Orgel der Martin-Luther-Kirche in der Dresdener Neustadt sehr nahe und bot sich deshalb als optimale Möglichkeit für eine authentische Darstellung der Werke auf dieser Doppel-CD an. Alle Kompositionen erleben hier ihre Ersteinspielung.