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Kein Werk der großen klassischen Musik wurde so genau auf eine so spezielle Gelegenheit zugeschnitten und kaum eines hat diese scheinbare Einengung durch Verbreitung und Nachwirkung so offenkundig kompensieren können wie Haydns „Die sieben letzten Worte Jesu Christi“. Der Auftrag war aus der spanischen Stadt Cadiz gekommen, wo begleitende Musik für eine nur dort gepflegte Karfreitagsliturgie benötigt wurde. „Die Wände, Fenster, und Pfeiler der Kirche waren ... mit schwarzem Tuche überzogen, und nur eine in der Mitte hängende große Lampe erleuchtete das heilige Dunkel. Zur Mittagsstunde wurden alle Türen geschlossen; jetzt begann die Musik. Nach einem ... Vorspiel bestieg der Bischof die Kanzel, sprach eines der sieben Worte aus und fiel knieend vor dem Altare nieder. Diese Pause wurde von der Musik ausgefüllt. Der Bischof betrat und verließ zum zweiten-, drittenmal die Kanzel usw., und jedesmal fiel das Orchester nach dem Schlusse der Rede wieder ein“ - so Haydns Beschreibung einer Szenerie, deren Vergegenwärtigung helfen mag, die meditative Eindringlichkeit seiner Musik nachzuvollziehen.
„Die Aufgabe, sieben Adagios, wovon jedes gegen zehn Minuten dauern sollte, aufeinander folgen zu lassen, ohne den Zuhörer zu ermüden, war keine von den leichtesten“, hat Haydn bescheiden formuliert; man könnte auch sagen, es war eine bis an den Rand der Unlösbarkeit schwere Aufgabe. Haydn schreibt keineswegs nur „Adagios“, sondern differenziert die Tempi ebenso sorgsam wie die musikalischen Charaktere und die Satzweisen, um die Folge der insgesamt neun Sätze ebenso als innere, nicht nur durch den Gegenstand garantierte Einheit wie auch im kontrastierenden Wechsel sinnfällig zu machen. Offenbar sollte das Werk von vornherein auch außerhalb der schwarz ausgeschlagenen Kirche zu Cadiz Bestand haben können als „Simphonie à programme“, wie es die Zeitgenossen damals nannten, freilich ohne ermessen zu können, welche Fatalitäten sich später an den Begriff des Programmes heften sollten. Daß Haydn selbst drei Versionen des Werkes - für Orchester, für Streichquartett und als Oratorium - herstellte und eine vierte, eine Klavierbearbeitung, sanktionierte, beweist, wie viel ihm an dem mit so viel Zweifeln verbunden gewesenen Werk lag, und daß er es von dem Anlaß unabhängig machen wollte, Spätestens, als er in Passau eine Vokaleinrichtung des dortigen Kantors Frieberth kennenlernte, die den Wortbezug - mit deutschem Text - oratorisch einlöste, und sich zu deren Überarbeitung (auch des Textes durch seinen Freund Gottfried van Swieten) bestimmen ließ, war klar, daß die Mehrzahl der Fassungen auch Antwort auf den ungewöhnlichen Erfolg des Werkes gab. Gewiß ging mit der Textierung einiges von der meditativen Verschlossenheit verloren, immer wieder die - nur gedachten - Worte in der Musik unterbringen zu wollen erscheint hier als wichtiges Moment spiritueller Vergegenwärtigung. Analog könnte man sagen, daß gerade, wo die Streichquartettfassung sich gegenüber der originalen für Orchester als Kompromiß erweisen muß - besonders bei den Ecksätzen handelt es sich um genuine Orchestermusik -, dem Charakter einer von genauer Materialisation unabhängigen Meditation in besonderer Weise Genüge getan sei. Nicht zufällig war die hier vom Dehler-Quartett eindrucksvoll dargebotene Streichquartett-Version lange Zeit die meistgespielte.