Der verstimmte Widmungsträger
Anton Bruckner, am 4.9.1824 im oberösterreichischen Ansfelden geboren, zählte nicht zu den Wunderkindern der Musik, sondern eher zu den Spätberufenen: Zwar beschäftigte er sich von Kindesbeinen an mit Musik, doch den ersten entscheidenden Schritt vorwärts schaffte er erst mit 31 Jahren, als er Domorganist in Linz wurde. Der nächste folgte in den 1860er Jahren, als er sich auf die Komposition von Sinfonien verlegte, die in der Folge immer ausladender wurden. Die letzte Stufe zum Erfolg erklomm er indes erst 1884, als Arthur Nikisch in Leipzig seine 7. Sinfonie zur Uraufführung brachte und dem in Wien in die Mühlen des Widerstreits zwischen Brahmsianern und Wagnerianern geratenen und in kreativer Hinsicht weitreichend unverstanden gebliebenen Komponisten den Weg zum internationalen Durchbruch ebnete, wonach sich dann auch in der Heimat endlich der verdiente Erfolg einstellte.
Widmungsträger der Siebenten war der bayrische König Ludwig II., die Achte widmete Bruckner Kaiser Franz Joseph I. von Österreich, und es kursiert die Anekdote, dass der Komponist plante, die Neunte „dem lieben Gott“ zu widmen, weil sonst keine Steigerung in der „Hierarchie“ der Widmungsträger mehr möglich gewesen wäre. Aus irgendeinem Grund aber war „der liebe Gott“ offensichtlich verstimmt, und so nahm er dem Komponisten vor 125 Jahren, am 11.10.1896, mitten in der Arbeit zum letzten Satz der Neunten den Federkiel aus der Hand.
Zahlreiche Dirigenten haben sich mittlerweile der zyklischen Aufführung aller Sinfonien Anton Bruckners gewidmet, als erster Arthur Nikisch mit dem Gewandhausorchester anno 1919/20. Mit dem gleichen Klangkörper realisierte auch sein später Nachfolger Herbert Blomstedt einen Bruckner-Sinfonie-Zyklus, der auf SACD bei querstand erschienen ist. Wenn Sie das Werk des großen Österreichers entdecken wollen, fangen Sie doch einfach mit der 1. Sinfonie (in der 1866er Erstfassung aus Linz) an.